Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Aufklären
In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! Im letzten Blogbeitrag haben wir Ihnen das Tätigkeitsfeld „Aufklären“ vorgestellt. Heute zeigen wir Ihnen ein angewandt-linguistisches Projekt aus diesem Tätigkeitsfeld. Viel Spaß!
Sie sitzen im Behandlungsraum einer Arztpraxis und haben möglicherweise mit Beschwerden oder einer Diagnose zu kämpfen. Welches Verhalten würden Sie sich von Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin wünschen? Sicher keine medizinisch korrekte, aber gefühlslose „Abfertigung“, sondern ein verständnisvolles Gespräch, bei dem Ihr Arzt oder Ihre Ärztin es schafft, die richtige Balance zwischen Professionalität und Empathie zu bewahren.
Studien aus verschiedenen Fachbereichen wie zum Beispiel der Medizinpsychologie bestätigen diesen Eindruck: Empathie ist ein zentrales Element medizinischer Versorgungsqualität. Allerdings weiß man bislang nur wenig darüber, wie Empathie in medizinischen Beratungsgesprächen sprachlich ausgedrückt wird und ob sich das von Empathiebekundungen in anderen Gesprächskontexten unterscheidet.
Nathalie Bauer will das ändern. Sie promoviert über die Frage, wie in medizinischen Interaktionen, genauer in Gesprächen zwischen Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzten, Empathie sprachlich ausgedrückt wird und im Gespräch ausgehandelt wird. Ihr wurde dafür der Förderpreis 2020 der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) e. V. verliehen. „Damit werden Projekte unterstützt, die wissenschaftliche Qualität und Anwendungsbezug in hervorragender Weise vereinen“, erklärt GAL-Präsident Prof. Dr. Markus Bieswanger im Video der Preisverleihung.
Über Fragestellungen, Aufbau, Ergebnisse und Anwendungsbezug des Projekts könnte uns niemand besser Auskunft geben als Nathalie Bauer selbst. Sie hat sich freundlicherweise bereiterklärt, uns unsere Fragen zu ihrem Projekt „Empathie in medizinischen Interaktionen – eine gesprächsanalytische Untersuchung“ in einem Interview zu beantworten. Vielen Dank!
Empathie – Interaktion – Onkologie
Das sind die drei Schlagwörter, mit denen Nathalie Bauer ihr Projekt zusammenfassen würde. Insgesamt 56 Aufklärungs- oder Beratungsgespräche mit Onkologiepatienten und -patientinnen bilden die Grundlage ihrer Forschungsarbeit.Diese wurden im Rahmen eines Projekts der deutschen Krebshilfe in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten aufgezeichnet. In den Gesprächen haben die behandelnden Ärztinnen und Ärzte die Aufgabe, auf der Grundlage bereits erfolgter Untersuchungen die Diagnose und das weitere Therapieverfahren zu erläutern. Die Patientinnen und Patienten werden hierbei zum ersten Mal mit der Diagnose „Krebs“ konfrontiert. Eine schwierige Situation für beide Parteien! Wir haben Nathalie Bauer gefragt: Was sind denn typische Probleme bei der Kommunikation zwischen medizinischem Personal und Patientinnen und Patienten?
„Das sind zunächst einmal Verständnisprobleme. Die medizinische Diagnose muss gewissermaßen in die Lebenswelt der Patientinnen und Patienten übersetzt werden. Außerdem ist oft ein Problem, dass die Betroffenen erst einmal vollkommen überfordert sind mit der Diagnose „Krebs“ und die Ärztinnen und Ärzte sich mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert sehen, ihnen mögliche Interpretationsangebote zu machen und sie zurück ins Gespräch zu ‚holen‘.“
Aber auch die asymmetrische Beziehung zwischen den Gesprächsbeteiligten kann ein Problem darstellen:
„Der Arzt oder die Ärztin sind normalerweise diejenigen, die das Gespräch strukturieren und lenken. Die Patientinnen und Patienten könnten sich dadurch verunsichert fühlen: Wann darf ich sprechen? Ist das ok, wenn ich das so sage? Das wirklich Interessante bei der Untersuchung zur Empathie ist allerdings, dass eigentlich der Patient bzw. die Patientin den primären Wissenszugang zu seinem emotionalen Erleben hat und nicht wie üblich das medizinische Personal. Die wissen schließlich am besten, wie es ihnen gerade geht!“
Es handelt sich also um eine ganz spezielle und sehr komplexe Gesprächssituation. Wie können Ärztinnen und Ärzte von dieser Erkenntnis profitieren?
Hilfreiche Ratschläge für den Einsatz von Empathie in der Arzt-Patienten-Kommunikation
„Obwohl in Arzt-Patienten-Gesprächen teilweise ähnliche Strukturen zu erkennen sind wie in Alltagsgesprächen, treten Empathieanzeigen hier doch nochmal in anderer Form auf“, erklärt Nathalie Bauer. „Ob sie als angemessen behandelt werden oder nicht, hängt tatsächlich auch sehr stark vom Kontext ab – je nachdem, wer gerade am Gespräch teilnimmt oder zu welchem Zeitpunkt im Gespräch sie geäußert werden.“
Es gilt also zunächst, die verschiedenen Arten, mittels Sprache und Sprechverhalten Empathie auszudrücken, aus linguistischer Sicht zu analysieren und zu klassifizieren. Anschließend können daraus Anwendungsbezüge abgeleitet werden, die Medizinerinnen und Medizinern helfen, ihre Gesprächsführung zu reflektieren. Nathalie Bauer betont:
„Für die Gesprächsführung ist es vor allem wichtig, sich mit dem Funktionieren von Gesprächen und deren grundlegenden Strukturen zu beschäftigen. Im medizinischen Bereich werden Gespräche häufig allein aus der Perspektive des medizinischen Personals gedacht. Zu einem Gespräch gehören aber immer zwei, es handelt sich um eine Interaktion.“
Darüber können Ärztinnen und Ärzte aus angewandt-linguistischer Perspektive aufgeklärt werden. Die erste überraschende Erkenntnis:
Es gibt kein Patentrezept!
„Medizinstudierende lernen häufig, sie sollten eine bestimmte Schrittabfolge einhalten, damit das Gespräch gelingt. Die erhobenen Daten zeigen aber: Es gibt kein Patentrezept für die Anzeige von Empathie in medizinischen Gesprächen. Obwohl das jetzt vielleicht ernüchternd ist, wirkt das auch in vielerlei Hinsicht entlastend auf das medizinische Personal. Empathie ist situationsabhängig! Eine Ärztin versucht beispielsweise dadurch Empathie auszudrücken, dass sie von ihren eigenen Brustkrebserfahrungen berichtet. Diese Strategie wurde in mehreren Gesprächen mit verschiedenen Patientinnen beobachtet. Man sieht: Die Betroffenen reagieren ganz unterschiedlich darauf. Manche blocken sofort ab, andere fragen interessiert nach oder kommen zu einem späteren Zeitpunkt des Gesprächs darauf zurück. Das möglichst schnell und gut erkennen zu können, kann für Ärztinnen und Ärzte sehr hilfreich sein.“
Das überrascht auch uns! Eine Schritt-für-Schritt-Gesprächsanleitung kann auch die Angewandte Linguistik also nicht bieten. Wie kann man Medizinerinnen und Medizinern trotzdem zu einer besseren Kommunikation mit ihren Patientinnen und Patienten verhelfen?
„Man muss verstehen, nach welchen Mechanismen solche Gespräche funktionieren“,betont Nathalie Bauer. „Ein wichtiges Element dabei ist, Ärztinnen und Ärzten zu ermöglichen, das eigene Kommunikationsverhalten zu reflektieren. Das klappt besonders gut, wenn man sich mit authentischen Gesprächen beschäftigt, in denen man dann kommunikative Strukturen erkennen kann. “
Vom Medizin- zum Gesprächsprofi
Ärztinnen und Ärzte müssen also eigentlich nicht nur Medizin-, sondern auch Gesprächsprofis sein. Dazu klären Angewandte Linguistinnen und Linguisten wie Nathalie Bauer über Funktionsweisen und Wirkmechanismen von Empathie in Gesprächen auf.
„Wir haben bereits einen Workshop an der Universität Karlsruhe für junge Medizinerinnen und Mediziner veranstaltet. Die Teilnehmenden bekommen dabei kein Erfolgsrezept in Form einer „Anleitung“ an die Hand. Stattdessen untersuchen sie die aufgezeichneten Gespräche selbst. Wir stellen das dazu notwendige linguistische Wissen und verschiedene Analysemethoden bereit. Dadurch, dass die Teilnehmenden die Gespräche durch die linguistische anstatt durch die medizinische „Brille“ betrachten, werden sie für Empathieanzeigen und unterschiedliche Reaktionen darauf in ihrem jeweiligen Kontext sensibilisiert. Wir haben zu dem Workshop viel positive Resonanz erhalten. Meine linguistische Expertise dort einbringen zu können, hat mich im Projekt und auch persönlich sehr weitergebracht.“
Aufklärung zum Real World Problem als Schritt hin zu einer Real World Solution
Auf die Frage hin, ob sie sich als Angewandte Linguistin verstehen würde, antwortete Nathalie Bauer ohne zu zögern: „Auf jeden Fall!“
Sie erklärt: „Empathie angemessen zu zeigen ist ein wirkliches Real-World Problem der medizinischen Fachwelt. Gesprächslinguistische Forschungsergebnisse sind ein wichtiges Puzzlestück, um die bestmögliche Arzt-Patienten-Kommunikation zu ermöglichen. Zu verstehen, wie Empathie in medizinischen Gesprächen funktioniert, kann den Berufsalltag von Ärztinnen und Ärzten erleichtern und so hoffentlich das Erleben für die Patientinnen und Patienten verbessern.“
Wir freuen uns gemeinsam mit den Ärztinnen, Ärzten, Patientinnen und Patienten auf die Publikation von Frau Bauers Forschungsergebnissen. Schließlich ist das Dissertationsprojekt nicht nur für die Linguistik eine Bereicherung!
Vielen Dank für diesen spannenden Einblick!
Die Autorinnen:
Franziska Schulte – studiert Gymnasiallehramt mit den Fächern Deutsch, Geschichte und Sozialkunde und hat sich so irgendwie als Hiwi in die deutsche Sprachwissenschaft verirrt! Aber das ist nicht so schlimm!
Magdalena Belz – BA-Studentin und ebenfalls Hiwi in der deutschen Sprachwissenschaft. Beantwortet die Frage „Und was kann man mit einem Germanistikstudium beruflich machen?“ gern mit einem Verweis auf die Angewandte Linguistik!