Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Professionalisieren
In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! Dazu geben wir Antworten auf die Frage: Was machen Angewandte Linguistinnen und Linguisten eigentlich?
Zwei Flugzeuge kollidieren kurz nach dem Start. 583 Menschen sterben. Linguistinnen und Linguisten sagen: Das Unglück hätte vermieden werden können. Was ist passiert?
Im März 1977 warten auf dem Flughafen Teneriffas zwei Jumbo-Jets auf ihre Starterlaubnis: eine Maschine der niederländischen Airline KLM und eine US-amerikanische Maschine der Airline PanAm. Während die KLM-Maschine bereits ihre Position am Beginn der Startbahn eingenommen hatte, suchte die PanAm-Maschine noch ihre Warteposition und rollte dazu über eben jene Startbahn, an deren Beginn die KLM-Maschine bereits wartete.
Der Tower kommunizierte währenddessen mit der Besatzung der KLM-Maschine:
(…)
KLM-Copilot: „Eh the KLM four eight zero five is now ready for takeoff and eh we are waiting for our ATC clearance.“
Teneriffa-Tower: „KLM eight seven zero five eh you are cleared to the Papa beacon climb to and maintain flight level nine zero right turn after takeoff proceed with heading zero four zero until intercepting the three ~NO five radial from Las Palmas VOR.“
KLM-Copilot: „eh Roger Sir we are cleared to eh the Papa beacon flight level nine zero right turn out zero four zero until intercepting the three two five. We are now (eh taking off).“
(…)
(Auszüge aus dem Aircraft Accident Report (1977: 42), zitiert nach Kriele (2017: 209))
Problematisch sind die hervorgehobenen Formulierungen takeoff bzw. taking off: Diese waren damals noch doppeldeutig. Während die Piloten der KLM-Maschine davon ausgingen, um die Starterlaubnis zu bitten, dachte der Tower, sie würden lediglich kommunizieren, am Startpunkt angekommen und abflugbereit zu sein. Das Missverständnis konnte nicht rechtzeitig aufgelöst werden – die KLM-Maschine startete und prallte auf die sich noch auf der Startbahn befindende PanAm-Maschine.
Was hätte Linguistik tun können?
Angewandte Linguisten und Linguistinnen professionalisieren. Das bedeutet, dass sie Berufsgruppen, die sich mit Sprache und Kommunikation befassen, Wissen und Kompetenzen vermitteln, die ihnen helfen, zukünftig ihre schriftliche und mündliche Sprache sowie Kommunikationsprozesse zu verbessern. Dazu analysieren Angewandte Linguistinnen und Linguisten zunächst das vorliegende Problem und benennen seine sprachliche Ursache. Anschließend erarbeiten sie Lösungsansätze, zum Beispiel in Form von Fortbildungen, Handreichungen oder Software. Das Problem kann so gelöst oder zukünftig vermieden werden.
Im Falle des oben beschriebenen Flugzeugunglücks war die Konsequenz, neue, eindeutigere und vor allem standardisierte Funkphrasen zu entwickeln – also eine einheitliche Terminologie vorzugeben, die die Kommunikation im entsprechenden Bereich klarer macht. Abflugbereitschaft wird nun mit der Phrase „ready for departure“ signalisiert, die Starterlaubnis wird mit der Phrase „cleared for takeoff“ erteilt. Damit können fatale Missverständnisse, wie sie sich 1977 in Teneriffa ereignet haben, vermieden werden.
(Beispiel entnommen aus: Kriele, Christian (2017): Terminologie in der Fachkommunikation. In: Perrin, Daniel; Kleinberger, Ulla: Doing Applied Linguistics. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 207-212.)
Vielfältige Professionalisierung von Sprache und Kommunikation
Natürlich geht es nicht immer um Leben und Tod. Eine Professionalisierung von Sprache und Sprachgebrauch – gerade im Hinblick auf eine Effizienzsteigerung von Kommunikation – ist in zahlreichen Zusammenhängen gefragt.
Erinnern Sie sich beispielsweise noch an den Dreiseitenkipper aus dem Blogbeitrag, in dem es um das Thema Beraten ging? Da kann man sich schon mal über das „Beamtendeutsch“ ärgern. Oder über das „Juristendeutsch“, wenn man in einer neuen Corona-Verordnung einen Satz dreimal lesen musste, um ihn zu verstehen. Vielleicht haben Sie auch schon mal einen Zeitungsartikel oder eine Werbeanzeige gelesen und waren über die ein oder andere Formulierung entsetzt. Gute und richtige Kommunikation ist für verschiedenste Berufsgruppen unerlässlich, um für Klarheit zu sorgen und das Miteinander gestalten zu können – und dabei kann Angewandte Linguistik durch Professionalisierungsangebote helfen.
Angewandte Linguistinnen und Linguisten unterstützen nicht nur dabei, verständliche(re) schriftliche oder mündliche Texte zu produzieren, sondern sind auch beteiligt an der Entwicklung barrierearmer und barrierefreier Sprachformen, an der Weiterentwicklung maschineller Sprachverarbeitung, am Aufbau von Terminologiedatenbanken und -richtlinien und vielem mehr.
Angewandt-linguistisches Professionalisieren hat dabei das Ziel, Menschen zu befähigen, den beruflichen Anforderungen besser zu begegnen und die berufliche Kommunikation angemessener, nachhaltiger und effektiver zu gestalten.
Das Tätigkeitsfeld Professionalisieren und die GAL
Das Professionalisieren ist so auch aus Sicht der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) e. V. eine zentrale angewandt-linguistische Tätigkeit. Die GAL hat es sich zum Ziel gesetzt, „Aktivitäten und Initiativen [zu bündeln], die sich auf die Erforschung und Optimierung von Kommunikationsprozessen im Alltag und in professionellen Anwendungsfeldern richten“ (GAL e. V.). Sektionen wie die Fachkommunikation oder die Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaft befassen sich explizit mit der Professionalisierung von Sprache und Kommunikationsprozessen in beruflichen Kontexten – auch bei der #galwue21! Schauen Sie doch mal ins Programm!
Die Autorin:
Leonie Kampmann – von Tocharisch über Französisch bis hin zu Sindarin – sie findet alle Sprachen faszinierend!