Kennen Sie den Unterschied zwischen Not-Halt und Not-Aus?

Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Dokumentieren

In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! Dazu geben wir Antworten auf die Frage: Was machen Angewandte Linguistinnen und Linguisten eigentlich?

Not-Halt und Not-Aus. Ist das nicht dasselbe? Nein – denn die Unterscheidung der beiden Begriffe ist im Arbeitsalltag vieler Menschen durchaus von hoher Relevanz. So macht es beispielsweise an der Postsortierungsmaschine einen erheblichen Unterschied, ob der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin den Not-Halt- oder den Not-Aus-Knopf drückt. Diese Nuancierungen in der Fachsprachenterminologie können neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon mal irritieren – und da kommt das Tätigkeitsfeld „Dokumentieren“ der Angewandten Linguistik ins Spiel.

Um diese Feinheiten ausdifferenzieren zu können, müssen Angewandte Linguistinnen und Linguisten den Sprachgebrauch einer spezifischen Berufsgruppe zunächst beobachten und diese Beobachtungen festhalten. Dafür dokumentieren sie sowohl den gesprochenen als auch den geschriebenen Sprachgebrauch. Das bedeutet, dass sie sprachliche Äußerungen sammeln und diese anschließend präzise darstellen und fixieren.

Dazu verknüpft die linguistische Dokumentation fachliche Bereiche wie Sprachkorpuserstellung, Lexikographie, Fachkommunikation und Terminologiewissenschaft. Aus diesen Dokumentationsprozessen resultieren Sprachkorpora, Wörterbücher, Datenbanken, Terminologielisten und auch Anleitungen zu sprachlichem Handeln. Davon profitieren nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Wirtschaft und Industrie.

Zugleich bildet die Dokumentation auch die Basis für nahezu alle Tätigkeitsfelder der Angewandten Linguistik. Zum Beispiel wird sowohl in der Sprachtherapie als auch in einem Workshop zu angemessener Rhetorik auf Daten der Dokumentation zurückgegriffen. Dabei eröffnet die Digitalisierung dem Tätigkeitsfeld Dokumentieren neue Chancen der Speicherung, Abrufbarkeit und Aufbereitung großer linguistischer Datenmengen, wodurch der Prozess des Dokumentierens beschleunigt werden kann.

Korpusarbeit als Dokumentationsprojekt

Ein essentielles Standbein des Dokumentierens ist die Korpusarbeit. Dabei werden authentische Sprachdaten – gesprochene und geschriebene – nach linguistischen Kriterien gesammelt und methodisch aufbereitet. Daraus resultieren umfassende Textsammlungen bzw. Datenbanken, die als Sprachkorpora bezeichnet werden. Eine Institution im deutschen Sprachraum ist das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Dort stehen zahlreiche Korpora zur Verfügung, wie beispielsweise ein Korpus zu politischen Reden. Anhand dieser umfänglichen Textsammlungen können weitere Fragestellungen entwickelt und diesen nachgegangen werden. So kann z. B. eine klare Abgrenzung sowie die unterschiedliche Verwendung der Begriffe Gesetz, Maßnahme, Regel und Verordnung erforscht werden.

Lexikographie als Dokumentationsprojekt

Ergebnisse von lexikalischen Dokumentationsprojekten können u. a. elektronische oder gedruckte Wörterbücher oder Handreichungen zu unterschiedlichen Themen sein. Eine zentrale Forschungseinrichtung dafür ist das Institut für deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. „Es hat die Aufgabe, die deutsche Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte wissenschaftlich zu erforschen und zu dokumentieren“ (https://gal-ev.de/ueber-die-gal/angewandte-linguistik/). Ein aktuelles Beispiel des IDS ist das Glossar „Neuer Wortschatz rund um die Coronapandemie“, welches Wörter enthält, die im Verlauf der Pandemie neu aufgetreten sind oder umgedeutet wurden. Diese stammen aus authentischen Textquellen, werden nach lexikalischen Kriterien aufbereitet und können durchaus kurios sein. Projektleiterin Annette Klosa-Kückelhaus gefällt beispielsweise besonders gut der „Hygienehaken“.

Und warum ist die Unterscheidung zwischen Not-Halt und Not-Aus nun so wichtig?

In der Fachsprache der Maschinentechnik bezeichnet Not-Halt lediglich den Schnellstopp der Antriebe, sodass die Maschine zum Stehen kommt. Dahingegen wird bei Betätigung des Not-Aus-Schalters die Spannungsversorgung unterbrochen. Je nachdem wie gravierend der Notfall ist, muss also ein anderer Schalter betätigt werden. Wenn sich also mal ein Brief in der Postsortiermaschine verfängt, welchen Schalter würden Sie wählen?

Die Autorinnen:

Johanna Gindl liebt es, andere Menschen ungefragt mit sprachwissenschaftlichen Fakten zu überhäufen.

Simone Voran hat soeben ihre BA Thesis abgegeben und will anschließend einen Master in Angewandter Linguistik anfangen.

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