Zwischen Erpresserbrief und Einkaufszettel

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Beraten

In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! Im letzten Blogbeitrag haben wir Ihnen das Tätigkeitsfeld „Beraten“ vorgestellt. Heute zeigen wir Ihnen ein angewandt-linguistisches Projekt aus diesem Tätigkeitsfeld. Viel Spaß!

Solche Erpresserbriefe kennen wir vor allem aus Filmen und Fernsehserien. Im echten Leben finden wir hoffentlich niemals einen im Briefkasten – wenn das aber doch passiert, dann wollen wir natürlich sofort wissen, wer ihn verfasst hat und wie ernst man die Drohungen nehmen muss. Deshalb braucht die Kriminalpolizei Expertinnen und Experten, die wissen, was so ein Brief über den Täter oder die Täterin verraten kann. Eine solche Expertin ist zum Beispiel Dr. Eilika Fobbe. Sie berät als Angewandte Linguistin die Ermittlerinnen und Ermittler beim Bundeskriminalamt (BKA).

Angewandte Linguistinnen und Linguisten beim BKA?

Ja, wirklich! Täterinnen und Täter verraten sich nicht nur über DNA-Spuren oder Fingerabdrücke, die sie am Tatort zurücklassen. Auch die Art und Weise, wie sie sprechen oder schreiben, kann für die Polizei ein Hinweis sein, wer als Täterin oder Täter in Frage kommt. Im BKA arbeiten daher Angewandte Linguistinnen und Linguisten in den Abteilungen Handschriftenerkennung, Sprechererkennung und Autorenerkennung.

Will die Polizei ermitteln, wer den oben gezeigten Erpresserbrief verfasst hat, wird die Abteilung Autorenerkennung aktiv. Expertinnen und Experten wie Eilika Fobbe können auch aus sehr kurzen Texten wichtige Rückschlüsse auf den Urheber ziehen: Handelt es sich um eine/n oder mehrere Autorinnen oder Autoren, also um eine singuläre oder eine multiple/kollektive Autorschaft? Erkennt man muttersprachliche Sprachkompetenz? Welchen Bildungsstand hat der Autor bzw. die Autorin? Wie baut die Autorin bzw. der Autor seinen Text auf, wo liegt der Fokus der Mitteilung und wo der gedankliche Fokus der Autorin bzw. des Autors?

Forensische Textanalyse

Vielleicht habt ihr ja auch schon mal vom sogenannten „sprachlichen Fingerabdruck“ gehört, also von der Idee, dass der Sprachgebrauch eines jeden Menschen einzigartig sei und man daher einen Tatverdächtigen auf der Basis seiner Texte überführen könne. Eilika Fobbe und ihr Team wissen, dass es einen solchen „sprachlichen Fingerabdruck“ nicht gibt. Das wurde durch die sprachwissenschaftliche Forschung mehrfach bewiesen. In ihrem wissenschaftlichen Einführungsbuch in die forensische Linguistik stellt Eilika Fobbe klar:

Forensische Linguistinnen und Linguisten sammeln also Hinweise auf die Täterin bzw. den Täter, können ihn aber nicht allein auf der Grundlage linguistischer Analysen überführen.

Hinweise auf den Täter bzw. die Täterin gewinnen sie zum Beispiel aus dem Vergleich mit anderen, von den Tatverdächtigen verfassten Texten – und seien es nur Einkaufszettel. Wenn dort Epfel anstatt Äpfel auf der Liste stehen– also wie im Erpresserbrief <ä> und <e> vertauscht werden – dann wäre dieser übereinstimmende Fehler ein Indiz dafür, dass beide Texte aus der Feder derselben Person stammen. Natürlich muss damit gerechnet werden, dass Fehler absichtlich, als Teil einer Verstellungsstrategie, in den Text eingestreut werden. Im oben gezeigten Beispiel sieht man, dass zwar viele Orthographiefehler vorhanden sind, jedoch kaum Satzbaufehler. Dies könnte darauf schließen lassen, dass eine ausländische Herkunft nur vorgetäuscht wird.  

Eine forensische Textanalyse nimmt aber nicht nur Fehler in den Blick, sondern auch den Stil und die Textstruktur. Bei der Stilanalyse werden zum Beispiel Wortwiederholungen, auffällige Wortbildungen, Interpunktionsvorlieben usw. untersucht. Die Verwendung bestimmter Wörter und Formulierungen kann beispielsweise Rückschlüsse auf das Alter oder den Bildungsstand der Autorin bzw. des Autors zulassen.

Individuelle und textsortenspezifische Auffälligkeiten werden bei der Textstrukturanalyse gegeneinander abgewogen. Die Formulierung „keine Polizei, keine Tricks“ beispielsweise hat eine sehr geringe Aussagekraft über den Täter oder die Täterin, da sprachwissenschaftliche Untersuchungen der Textsorte Erpresserbrief bereits zeigen konnten, dass sie in fast allen Erpresserbriefen so oder so ähnlich enthalten ist.

Angewandt-linguistische Expertise im Gerichtsverfahren

Die Ergebnisse ihrer umfassenden Analysen halten die Angewandten Linguistinnen und Linguisten dann in Gutachten fest. Jedes linguistische Gutachten muss dabei die allgemeinen wissenschaftlichen Standards erfüllen – dazu gehört zum Beispiel, dass die verwendeten Analysemethoden beschrieben werden. Diese Gutachten werden entweder für die kriminalpolizeiliche Arbeit genutzt, also um Tatverdächtige zu ermitteln, oder sie werden vor Gericht eingesetzt, um die Schuld des/der Angeklagten mit zu beweisen. Eilika Fobbe betont dabei jedoch:

Angewandte Linguistinnen und Linguisten können auch als Expertinnen und Experten vom Gericht eingeladen werden. Als Sachverständige erklären sie dann, wie das sprachliche Beweismaterial zu verstehen ist, wie die sprachlichen Daten ausgewertet wurden und wie Linguistik als wissenschaftliche Disziplin arbeitet.

Angewandte Linguistinnen und Linguisten auf Verbrecherjagd!

Jeder Text verrät viel über seine Verfasserin oder seinen Verfasser – und die angewandten Linguistinnen und Linguisten wissen, wonach sie suchen müssen! Auf der Basis ihrer linguistischen Expertise können sie alle beteiligten Institutionen von Polizei bis Justiz beraten. Wollt ihr mehr erfahren? Schaut doch mal in Eilika Fobbes Einführung in die Forensische Linguistik!

Der Autor:

Simon Panneke-Reelfs – mit Rat und Tat unterstützt von Viktorija Blazheska und Ann-Katrin Hüsing!

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