Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler als Spürnasen sprachbezogener Probleme

Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Aufklären

In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! Dazu geben wir Antworten auf die Frage: Was machen Angewandte Linguistinnen und Linguisten eigentlich?

Wie kaum zuvor wird heute in gesellschaftlichen und politischen Debatten über die Angemessenheit beziehungsweise Unangemessenheit der deutschen Sprache diskutiert. Gerade die Diskussion darum, inwiefern die deutsche Sprache ‚gendergerecht‘ sei, erlebt aktuell eine Blütezeit. Bereits die verwendete Form einer Anrede stößt auf breite Diskussionsbereitschaft: Ist es überhaupt noch vertretbar, beispielsweise ausschließlich von Zuhörern zu sprechen, wenn das Publikum sehr wohl auch aus Frauen oder Personen mit nicht-binären Geschlechtsidentitäten besteht?  Sollte man womöglich lieber von Zuhörerinnen und Zuhörern sprechen? Und wie schreibt man das? ZuhörerInnen? Zuhörer*innen? Zuhörer:innen? Oder vielleicht doch lieber ganz anders formulieren: Zuhörende?

Auch die fachsprachliche Komplexität der deutschen Sprache wird häufig kritisiert. Gerade im Hinblick auf Corona-Regelungen und -Verordnungen häufen sich die Beschwerden über das unverständliche „Beamten- und Juristendeutsch“. Wo es doch eigentlich von besonderer Wichtigkeit ist, dass die Bürgerinnen und Bürger sich über aktuelle politische Maßnahmen und Verordnungen gut informieren können, scheitern immer wieder viele Menschen daran, die tatsächliche Sach- und Informationslage aus den sprachlich komplexen Aussagen der Politik, Verwaltung und Presse zu entschlüsseln.

Wie kann die Angewandte Linguistik hier helfen?

Angewandte Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler verfolgen solche gesellschaftlichen Debatten mit besonderem Interesse und versuchen, die Hintergründe sprachbezogener Probleme besser nachzuvollziehen. Denn: Nur durch ein fachlich untermauertes und wertungsfreies Aufklären über die Problemursachen kann es zu einer produktiven Lösung kommen.

Welche sprachlichen Möglichkeiten gibt es also, Menschen mit unterschiedlichen biologischen (oder auch sozialen) Geschlechtern zu adressieren? Wie werden diese Möglichkeiten genutzt, wie werden sie aufgenommen? Welche Schwierigkeiten können hierbei möglicherweise auftreten?

Und: Welche sprachlichen Merkmale zeigen Texte, die von Leserinnen und Lesern als zu kompliziert empfunden werden? Sind es vielleicht einzelne Fachwörter, komplizierte Wortzusammensetzungen oder doch die berühmt-berüchtigten langen Schachtelsätze? Wie kann die Textrezeption erleichtert und das Verständnis verbessert werden?

All dies sind Fragen, mit denen sich die Angewandte Linguistik beschäftigt.

Wo ist sprachwissenschaftliche Aufklärungsarbeit gefragt?

Angewandte Linguistinnen und Linguisten sind in ihrer Aufklärungstätigkeit quasi die Spürnasen für die sprachliche Seite gesellschaftlicher Kontroversen und Probleme. Egal, ob sie sich in bereits bestehenden Diskussionsfeldern wie dem der sprachlichen Sichtbarmachung zu Wort melden oder aber auch auf sprachliche Problemfelder aufmerksam machen, welche zuvor noch gar nicht als öffentliche Debatten diskutiert worden sind: Aus eigener Initiative heraus versuchen sie, die sprachlichen Problemfaktoren klar zu benennen und so ein tiefergehendes Verständnis des sprachlichen oder sprachbezogenen Problems zu befördern.

Damit trägt die sprachwissenschaftliche Aufklärungsarbeit zur Problemlösung sprachbezogener Probleme bei und fördert aber auch gleichzeitig ein generelles, sprachkritisches Bewusstsein, das im Idealfall schon die Entstehung so mancher Probleme verhindern kann.

Wie genau sorgen Angewandte Linguistinnen und Linguisten für solch ein „sprachkritisches Bewusstsein“?

Konkret kann dies zum Beispiel durch eine linguistische Aufarbeitung der Ursprünge des Problems erfolgen. Beim Thema Gendern wären zunächst beispielsweise das Verhältnis einer Versprachlichung von grammatischem Geschlecht (= Genus) und natürlichem Geschlecht (= Sexus) zu erörtern. Weiterhin können gängige Sprachgebrauchsmuster in ihrer Rezeption und Bewertung analysiert werden, um zu erkennen, was und warum etwas eigentlich tatsächlich als ‚ungerecht‘ beurteilt wird.

In Bezug auf die Verbesserung der Verständlichkeit öffentlicher Kommunikation sind Untersuchungen dazu, was genau einen Text kompliziert und unverständlich macht, sinnvoll. Erkenntnisse hierzu helfen den Textproduzenten, ihre Texte zu reflektieren und letztlich natürlich auch zu verbessern. 

Die Sprachwissenschaft bringt sich aber nicht nur in bestehende öffentliche Debatten ein, sondern regt auch neue an. Auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) e. V. diskutiert beispielsweise die Sektion Fachkommunikation über die sprachlichen Merkmale von Fake News. Und die Sektion Migrationslinguistik beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Sprache und insbesondere die sog. „Bildungssprache“ für nicht-muttersprachliche Schülerinnen und Schüler in der Schule eine Hürde darstellt. Der GAL-Förderpreis 2020 wurde ebenfalls für eine Arbeit verliehen, die das Ziel hat, mehr sprachwissenschaftliches (Hintergrund-)Wissen über einen Bereich bereitzustellen, der häufig als problematisch empfunden wird: die Kommunikation zwischen Ärztinnen und Ärzten und ihren Patientinnen und Patienten. (Aber dazu mehr in der nächsten Woche!)

Angewandte Linguistinnen und Linguisten klären auf – und das ist gut so!

In unserem Alltag begegnen wir womöglich häufiger durch Sprache verursachten oder mit-verursachten Problemen, als uns bewusst ist. Um zu einer gewinnbringenden Lösung für solche Probleme zu kommen, ist es notwendig, dass sie zunächst als sprachliche oder kommunikative Probleme erfasst, wissenschaftlich beschrieben und analysiert werden. Die Ergebnisse solcher Analysen können dann dazu beitragen, dass Fehl- und Vorurteile beseitigt werden und der Weg für produktive Lösungen freigemacht wird.

Die Autorinnen:

Marina von Dungen – Bachelor-Studentin der Germanistik, die sich tief in die Sprachwissenschaft verliebt hat.

Chrysoula Perathoraki – studiert BA Germanistik und Anglistik an der Universität Würzburg und interessiert sich ebenfalls sehr für Sprachwissenschaft.

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