Wenn das Sprechen schwerfällt…

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Diagnostizieren und Therapieren

In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! Im letzten Blogbeitrag haben wir Ihnen das Tätigkeitsfeld „Diagnostizieren und Therapieren“ vorgestellt. Heute zeigen wir Ihnen ein angewandt-linguistisches Projekt aus diesem Tätigkeitsfeld. Viel Spaß!

Erinnern Sie sich noch an die kleine Judith aus dem letzten Blogbeitrag? Sie spricht irgendwie anders als andere Kinder ihres Alters – beispielsweise kann sie Konsonanten am Wortanfang nicht aussprechen. Zu ihrer besten Freundin sagt sie Ara anstatt Lara.  Oder sie erzählt von ihrem Onkel Alf und versteht nicht, weshalb die Erwachsenen dann manchmal schmunzeln müssen.

6-8 % Prozent der Kinder eines Jahrgangs weisen eine Sprachentwicklungsstörung auf

Sprachentwicklungsstörungen sind längst kein Einzelfall und damit ein gesellschaftlich relevantes Problem. Versetzen Sie sich in die Lage von Judiths Eltern: Sie bemerken, dass sie nur zögerlich mit der Produktion von Wörtern beginnt und ihren Wortschatz langsamer entwickelt als Gleichaltrige. Der „Wortschatzboom”, der im zweiten Lebensjahr auftreten sollte, bleibt aus. Der Kinderarzt stellt im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung das Risiko einer Sprachentwicklungsstörung fest. Er beruhigt sie dann aber:

Bis zum 24. Monat sind etwa 35% aller Kinder sogenannte Late-Talker (Spät-Sprecher).

Die Hälfte der Kinder schließt die bisherigen Lücken bis zum dritten Lebensjahr. Geschieht dies nicht (und können organische, mentale oder emotionale Schädigungen ausgeschlossen werden), könnte eine Sprachentwicklungsstörung vorliegen. Ihr Kinderarzt rät Ihnen dann, Ihr Kind besonders zu fördern. Wie geht das?

Der erste Schritt könnte das Hinzuziehen einer Expertin oder eines Experten der Sprachentwicklungsforschung sein – also der Angewandten Linguistik!

Wie lässt sich eine Sprachentwicklungsstörung diagnostizieren?

Um herauszufinden, ob bei Judith eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt, tastet sich ein Sprachtherapeut bzw. eine Sprachtherapeutin mithilfe verschiedener Fragen immer näher an Ursache und Auswirkungen der fehlerhaften Sprachproduktion heran. Zentraler Ankerpunkt der Diagnostik sind die sprachlichen Äußerungen des Kindes: Auf welcher Ebene bzw. welchen Ebenen des Sprachsystems hat es Schwierigkeiten? Welche Prozesse entsprechen der normalen Entwicklung, welche sind untypisch? Wie häufig treten die falschen Muster auf und wie sehr beeinträchtigen sie die Verständlichkeit der Äußerungen? Eine solche Diagnose kann natürlich nur auf der Grundlage sprachwissenschaftlichen Wissens erfolgen!

Bei der Sprachtherapie nach PLAN

Nach der Diagnose der konkret vorliegenden Sprachentwicklungsstörung kann die maßgeschneiderte Therapie beginnen. Sie begleiten Judith also zur Sprachtherapie. Dort begegnet Ihnen dann zum Beispiel dieses Kärtchen: 

Das Übungskärtchen stammt aus der Materialsammlung zur Sprachtherapie nach dem patholinguistischen Ansatz (PLAN) von Prof. Dr. Christina Kauschke und Julia Siegmüller. Die beiden sind als Angewandte Linguistinnen im Bereich „Diagnostizieren und Therapieren“ tätig. Auf der Grundlage sprachwissenschaftlichen Wissens haben sie die PLAN-Therapie als eine Art Sprachtherapie-Werkzeugkasten entwickelt. Die Materialsammlung erlaubt es nicht nur, kindliche Sprachentwicklungsstörungen zu erkennen, sondern auch, sie zu verstehen, ihnen vorzubeugen und sie zu behandeln. Ziel des PLAN(s) ist es, das fehlerhafte sprachliche System des Kindes neu zu strukturieren. Die Schwerpunkte der PLAN-Therapie lassen sich dabei ganz individuell setzen: Von Phonologie über Semantik und Syntax bis hin zu Morphologie widmet sich der Ansatz von Kauschke/Siegmüller dem gesamten Sprachsystem .

Mit dem PLAN kann also mehr als nur eine sprachliche Ebene gefördert werden! Das bedeutet auch, dass bei der Entwicklung viele verschiedene sprachwissenschaftliche Teilbereiche gefragt sind: Beispielsweise die Phonetik und Sprechwissenschaft oder die Schreibwissenschaft.

In der PLAN-Materialsammlung enthalten sind Hörgeschichten, Bilderbücher, Symbolkarten uvm.  Die Materialien erlauben eine individuelle Förderung der Kinder in den Bereichen, die ihnen Schwierigkeiten machen. Judith lernt beispielsweise anhand des Elefanten-Symbolkärtchens, Wörter mit Konsonant im Anlaut – wie Lara oder Ralf – von Wörtern ohne Konsonant im Anlaut – wie Ara oder Alf – zu unterscheiden. Erstere sind Elefanten mit Rüssel – letzteren fehlt der Rüssel. Sie sind unvollständig. Judith lernt so, genau hinzuhören, ihre Fehler zu bemerken und selbständig zu korrigieren.

Sprachtherapie – ein voller Erfolg!

Judith kann also durch linguistische Expertise und die damit verbundene therapeutische Praxis geholfen werden. Um sie bestmöglich zu unterstützen, greifen linguistische (Grundlagen-)Forschung, Diagnose und Therapie ineinander. Spannend, oder?

Die Autorinnen:

Franziska Schulte – studiert Gymnasiallehramt mit den Fächern Deutsch, Geschichte und Sozialkunde und hat sich so irgendwie als Hiwi in die deutsche Sprachwissenschaft verirrt! Aber das ist nicht so schlimm!

Magdalena Belz – BA-Studentin und ebenfalls Hiwi in der deutschen Sprachwissenschaft. Beantwortet die Frage „Und was kann man mit einem Germanistikstudium beruflich machen?“ gern mit einem Verweis auf die Angewandte Linguistik!

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