Von Sprachentwicklungsstörung bis Aphasie

Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Diagnostizieren und Therapieren

In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! Dazu geben wir Antworten auf die Frage: Was machen Angewandte Linguistinnen und Linguisten eigentlich?

„Jeiter hos is“, sagt die kleine Judith zu ihrer Mutter.

„Ins Bett normal und dann sechs aufgewacht und fertig!“, berichtet der erwachsene Markus seinem Arzt.

Sprachbezogene Störungen können sowohl in der frühen Kindheit als auch im Erwachsenenalter auftreten. Für Angewandte Linguistinnen und Linguisten sind sie in zweierlei Hinsicht interessant: Einerseits können sie auf der Grundlage ihrer sprachwissenschaftlichen Expertise helfen, die sprachbezogenen Störungsbilder genauer zu erfassen – und das hilft dann auch bei der Entwicklung passgenauer Therapieansätze, die den Betroffenen helfen können.

Hierfür ist insbesondere die Teildisziplin der Klinischen Linguistik zuständig. Die Linguistik interessiert sich schon lange dafür, was im menschlichen Gehirn passiert, wenn wir sprechen, hören, lesen oder gebärden. Gerade von Fällen, in denen die Sprachproduktion oder Sprachrezeption nicht funktioniert wie erwartet, kann man viel über die Verbindung von Sprache und Gehirn lernen. Dazu forschen neben der Klinischen Linguistik u. a. auch die Psycho- und Neurolinguistik.

Was sind sprachbezogene Störungen?

Sowohl Judith als auch Markus sind Deutsch-Muttersprachler und haben mindestens durchschnittliche Intelligenz. Ihr sprachliches Verhalten entspricht aber nicht dem von gleichaltrigen Kindern oder Erwachsenen.

Bei Judith liegt eine Sprachentwicklungsstörung vor, die mehrere Ebenen der Sprachproduktion umfasst. Markus hingegen leidet unter einer Aphasie und produziert Sätze im sogenannten „Telegrammstil“. Aphasien sind erworbene Störungen der Sprache aufgrund von Erkrankungen des Gehirns. Bei Markus hat ein Schlaganfall die Aphasie ausgelöst. Damit ist er nicht allein: Rund ein Drittel aller Schlaganfallpatientinnen und -patienten hat in dessen Folge mit einer Aphasie zu kämpfen.

Sowohl bei Judith als auch bei Markus sind zahlreiche Lebensbereiche von der Diagnose „Sprachstörung“ betroffen. Unsere Sprache ist nämlich ein sehr sichtbarer Teil von uns und wir bemerken alle, seien es nun die Kindergarten-Freunde von Judith oder die Chefin von Markus, sofort, wenn jemand „nicht normal“ spricht, also von dem abweicht, woran wir gewöhnt sind.

Angewandte Linguistinnen und Linguisten unterstützen bei der Diagnose!

Wie kann Angewandte Linguistik helfen? Angewandte Linguistinnen und Linguisten können auf der Basis ihres sprachwissenschaftlichen Wissens genau analysieren, inwiefern eine Aussage wie Jeiter hos is (‚Die Leiter ist hoch‘) von dem abweicht, was wir von einem Kind im Vorschulalter erwarten würden. Man kann beispielsweise feststellen, dass vor dem Nomen Leiter der Artikel fehlt, dass im Wort Leiter der Laut /l/ durch den Laut /j/ ersetzt wurde oder dass das konjugierte Verb ist ganz am Ende des Satzes steht – anstatt wie üblich an der zweiten Stelle.

Durch eine linguistische Beschreibung und Kategorisierung des produzierten Sprachmaterials wird den Expertinnen und Experten klar, in welchem sprachlichen Bereich bzw. welchen Bereichen Beeinträchtigungen vorliegen: Phonetik, Morphologie, Syntax, … Auf dieser Grundlage können sie gemeinsam mit medizinischem Fachpersonal einen Therapievorschlag für die Betroffenen entwickeln.

Angewandte Linguistinnen und Linguisten entwickeln Therapien mit!

Das Therapieverfahren hängt dabei natürlich vom genauen Charakter der Sprachstörung ab. Mit Judith können beispielsweise im Spiel die sprachlichen Strukturen geübt und gefestigt werden. Markus kann von seinem Sprachtherapeuten oder seiner Sprachtherapeutin aufgefordert werden, in einem Gespräch von einem Ereignis in der Vergangenheit zu berichten, damit er so viele Verben wie möglich verwendet und die Verwendung so neu einübt und trainiert.

Die Durchführung der Therapie obliegt dann darin geschulten medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen wie z. B. Logopädinnen und Logopäden und Sprachtherapeutinnen und -therapeuten.

Angewandte Linguistik in der Medizin

Hinter der Diagnose und Therapie von sprachbezogenen medizinischen Problemen steckt also (auch) die Expertise von angewandten Linguistinnen und Linguisten! Auch wenn man das im ersten Moment nicht vermuten würde: Angewandten Linguistinnen und Linguisten trifft man u.a. in Kindergärten, Schulen, Fachkliniken, Rehazentren und Krankenhäusern.

Neugierig geworden? Hier finden Sie weitere Informationen zu Sprachentwicklungsstörungen und zur Aphasie.

Die Autorin:
Viktorija Blazheska – Studentin des Masterstudiengangs „Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft“ an der Uni Würzburg, die sich insbesondere für Sprachwandel und wissenschaftliche Kommunikation interessiert.

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