Wie Fehler zeigen, was man schon kann! 👍

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Lehren

In unserem #galwue21-Blogprojekt zeigen wir Ihnen die bunte Vielfalt der Angewandten Linguistik! In der letzten Woche haben wir Ihnen das Tätigkeitsfeld „Lehren“ vorgestellt. Heute zeigen wir Ihnen ein angewandt-linguistisches Projekt aus diesem Tätigkeitsfeld. Viel Spaß!

„Übernachtüng“, „bereitigen“… was das wohl eigentlich heißen sollte? Auch die Satzstruktur wirkt an manchen Stellen ungeordnet. Wären Sie die Deutschlehrerin oder der Deutschlehrer dieses Kindes, würden Sie nun sicherlich den Rotstift zücken.

Der Schüler, aus dessen Feder diese Einleitung einer Kurzgeschichte stammt, ist ein DaZ-Schüler, also ein Deutsch-als-Zweitsprache (=DaZ) -Lerner. Seine Muttersprache ist Arabisch.

Das Problem: Wie kann man die Deutschkompetenz nicht-muttersprachlicher Schülerinnen und Schüler angemessen fördern?

Hierbei handelt es sich nicht um einen Einzelfall, sondern ein Real World Problem, das sich im (Sprach-)Unterrichtsalltag ständig stellt. Muttersprachlichen Lehrkräften fällt es oft schwer, sich in die Situation eines DaZ-Kindes einzudenken, da sie die deutsche Sprache von Geburt an kennen und somit intuitiv beherrschen. Genau hier kommt die Angewandte Linguistik ins Spiel. Angewandte Linguistinnen und Linguisten können helfen, die Sprachlerner-Situation besser zu erfassen. Anhand von Schülertexten wie diesem hier können sie individuelle, aber auch allgemeine sprachlichen Herausforderungen und Probleme aufzeigen und passgenaue Fördermaßnahmen entwickeln.

Solche Fördermaßnahmen und -materialien sind zum Beispiel im Projekt Deutsch & PC entstanden.

Der Forschungsprozess: Wo genau liegen die Probleme?

Um ein angemessenes Förderprogramm zu entwickeln, muss zunächst herausgearbeitet werden, wo konkret die sprachlichen Schwächen der Deutschlernenden liegen.

Dafür hat einer der wissenschaftlichen Begleiter des Projektes, der Sprachwissenschaftler Herr Prof. Grießhaber, ein Instrument entwickelt, das auf eben jene Fragen linguistisch fundierte Antworten liefern kann: die Profilanalyse.

Doch wie genau funktioniert das?

In der deutschen Sprache werden Sätze nach bestimmten Mustern gebildet. Das Verb beispielsweise steht nicht an beliebiger Stelle, sondern an einer bestimmten Position im Satz – je nachdem, um welche Satzart es sich handelt, kann es in Erst-, Zweit- oder Letztstellung stehen. Linguistische Studien zum Spracherwerb konnten zeigen, dass Satzmuster in einer bestimmten Reihenfolge erworben werden, wobei das Wissen um die Stellung des Verbes in der gesamten Erwerbsphase zentral ist.

Anders herum gedacht: Wenn man sich den Satzbau in Texten eines Deutschlernenden ansieht – und insbesondere die Stellung des Verbes betrachtet – kann man daraus Rückschlüsse über den Fortschritt im Sprachlernprozess ziehen. Es lassen sich fünf Erwerbsstufen definieren:

Aus: Hessisches Kultusministerium: Deutsch & PC. Früher und intensiver Erwerb der deutschen Sprache für Zuwandererkinder in der Grundschule. Online abrufbar unter: https://grundschule.bildung.hessen.de/dupc/Deutsch_und_PC.pdf

Die Lösung: Ermittlung der Spracherwerbsstufe und Auswahl der Fördermaßnahmen

Die Profilanalyse ermöglicht die Ermittlung der Erwerbsstufe, der ein Text zuzuordnen ist. Dazu werden schriftliche und mündliche Äußerungen der Kinder in die kleinsten, satzwertigen Aussagen zerteilt. Für diese wird dann ihre sog. Profilstufe ermittelt. Am Ende erhält man, nach der Analyse der Häufigkeit bestimmter Profilstufen, ein grammatisches Profil des Textes.

Wichtig: Orthographiefehler werden dabei genauso wenig mit in die Analyse einbezogen, wie solche im Bereich von Genus, Kasus und Numerus. Gerade in der Anfangsphase des Sprachlernprozesses kann die Angewandte Linguistik so hinter der scheinbar fehlerhaften Oberfläche wichtige Erwerbsschritte sichtbar machen. Darauf basierend können dann passende Fördermaßnahmen ausgewählt werden.

Angewandte Linguistik und der Forschungsbereich Deutsch als Zweitsprache

Obwohl das Projekt inzwischen beinahe 20 Jahre alt ist, hat es seine Relevanz nicht eingebüßt. Ganz im Gegenteil! „Deutsch&PC“ kommt nicht nur weiterhin an über 50 hessischen Grundschulen zum Einsatz; die begleitenden Studien und die daraus gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind auch Teil eines Prozesses, in dem verstärkt universitäre Strukturen zum Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ aufgebaut werden. So auch an der Uni Würzburg, wo DaZ seit 2016 als Zusatzstudium zum Lehramtsstudium studiert werden kann!

Und: Auch in der GAL geht es an verschiedenen Stellen um den (Fremd-)Spracherwerb – zum Beispiel in der Sektion Migrationslinguistik und im GAL-Forschungsfokus Geflüchtete.

Die Autorin:
Alisa Capellaro – Lehramtsstudentin mit dem Hauptfach Deutsch an der Uni Würzburg – neben der Uni auch im DaZ-Bereich aktiv.

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